Veganismus – die andere Seite der Medaille
Aufgrund aktueller Zeitungsartikel möchte ich mich gerne zu dem „Trendthema“ Veganismus äußern, das Medien heutzutage vorzugsweise aufgreifen, um ihren Bildungsauftrag auf eine komödiantisch-sarkastische Art und Weise nachzukommen. Ähnlich wie bei anderen Debatten drehen wir uns auch hier, wie ich finde, immer nur im Kreis, genauer gesagt um die eigentliche Problematik herum. Es geht mir viel zu häufig um die Bewertung eines Wortes, vegan oder Veganismus, als um die eigentliche Bedeutung sowie Konsequenzen dahinter.
Ich ernähre mich nicht vegan, um damit angeben, einem Trend folgen oder mich moralisch überlegen fühlen zu können. Genauso wenig habe ich aus Langeweile beschlossen, mein Leben etwas aufzupeppen, indem ich mich einer Minderheit anschließe und versuche mich so extrem schwierig und unkonventionell wie möglich zu ernähren. Ich nehme auch keinen Abstand zu Schnitzel, Würstchen und Co. weil mir der Geschmack einfach nicht getaugt hat und ich die Vorstellung von „fadem Gemüse im Grasmantel“ geiler finde. Und nein, ich möchte diese Art der Ernährungsweise auch nicht nutzen, um wehrlosen Tieren zu schaden, indem ich sie ungemolken, mit beinahe platzendem Euter auf der Weide grasen oder gackernd in ihren Eiern ersticken lasse. Ich möchte auch nicht den natürlichen Lauf der Tierwelt zerstören, indem ich sie sich unkontrolliert vermehren lasse, ohne diesem gefährlichen Irrsinn durch Massenschlachtung Einhalt zu gewähren.
Letztendlich tangiert es mich nicht im Geringsten, nach was es jemanden gelüstet, ob auf dem Teller oder im Schlafzimmer – solange niemand anderes dadurch Schaden nimmt. Und hier sind wir genau beim Thema. Was ich mir tagtäglich in meinen Körper einverleibe hat einen entscheidenden Einfluss auf Millionen von Leben. Ja, es geht hier um Lebewesen, um unser aller Leben, die hier auf der Erde in einem Organismus koexistieren und dies in Zukunft bestmöglich fortführen möchten – da sind wir uns doch alle einig…
Das, was hier momentan geschieht, bedarf einer ernsten, reflektierten Debatte. Es soll darum gehen effektive Lösungen zu finden und nicht darum diese der Masse als Idiotie oder gar als Dekadenz der westlichen Welt zu verkaufen. Ich möchte die Medien, die Politik sowie alle staatlich-öffentlichen Vertreter ernst nehmen können und gleichermaßen mich als Teil des Staates ernst genommen fühlen. Wenn ich jedoch merke, dass eine adäquate Lösung auf weltweite Missstände nicht ansatzweise ernst genommen, sich sogar öffentlich darüber lustig gemacht wird, fällt es mir schwer weiterhin Vertrauen in diesen Staat zu haben. Wir sprechen hier ganz konkret von Hunger, Armut, Umweltzerstörung, Klimawandel, Treibhausgase, Ressourcenverschwendung, Ausbeutung, Massenschlachten sowie Zivilisationskrankheiten.
Nach außen hin möchten wir alle zeigen, dass wir uns gegen diese Dinge aussprechen, dass wir tierlieb sind, dass wir unsere Umwelt schützen, den Klimawandel eindämmen und die Menschen gesünder machen möchten. Doch eine der offensichtlich effektivsten Lösungen für all diese Probleme ignorieren wir bis ins Unerträgliche.
Der Philosoph Ludwig Feuerbach hatte dies bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts erkannt, indem er den Ausspruch prägte: „Du bist, was du isst.“ – Und wir sind, was wir essen. Für welche Art von Lebensmitteln du dich täglich entscheidest hat Konsequenzen für:
- Deine Gesundheit, sowohl körperlich als auch mental
- Dein soziales Umfeld
- Unseren natürlichen Lebensraum
- Die Tierwelt
- Das Klima
Doch davon will niemand etwas wissen und als Veganer, Pflanzenesser oder einfach nur informierter und verantwortungsbewusster Bürger darfst du auch niemandem davon erzählen, sonst wirst du sofort als radikaler Missionar in die Ecke gedrängt. Man kann mittlerweile echt schon froh sein, wenn man sich keine vorurteilsbehafteten Anschuldigungen anhören muss und nicht direkt als mangelernährter Sektenanhänger abgestempelt wird, dessen liebster Freund der Verzicht ist.
Zum Thema Verzicht kann ich direkt Stellung beziehen: Wenn du etwas tust, nicht nur um es zu tun, sondern einen tieferen Sinn dahinter siehst, eine gute Sache, der du dich aktiv annimmst, dann tust du es aus vollem Herzen und das letzte, was du damit verbindest ist Verzicht. Verzicht ist meiner Meinung nach negativ assoziiert. Wenn du etwas gerne hättest, es aber nicht bekommst, kannst, darfst. Die allerwenigsten Veganer unterliegen einem Verbot, das tierische Lebensmittel strengstens untersagt. Sie tun es freiwillig!
Ich ernähre mich so, weil ich einen tieferen und wichtigeren Sinn hinter unserem Essen gefunden habe, der weit über meinem Erleben von Genuss steht und der mir daher so viel mehr bedeutet, als es Schnitzel, Pommes und Döner jemals könnten. Niemand zwingt mich dazu, auch ich zwinge niemanden dazu und trotzdem sollten wir darüber reden dürfen, denn dieses Thema hat weitaus mehr Brisanz als auf Tofuwürstchen, Lebensmittelbezeichnungen oder Analogkäse reduziert zu werden.
Erst gar nicht darüber zu berichten ist die eine Sache, sich anzumaßen den Veganer gemeinhin als missionarisch, gefährlich, fahrlässig oder einfach nur bekloppt darzustellen und das auch noch mit einem unangebrachten Unterton an Sarkasmus und Ironie, übersteigt bei mir jegliches Maß an Toleranz für diese Medien bzw. Menschen solcher Aussagen und Denkweisen. Einmal davon abgesehen, dass die meisten getroffenen Aussagen schlichtweg falsch sind oder lediglich auf Klischees und Vorurteilen gründen, ist der Inhalt 100% am Thema vorbei. Im Großteil der medialen Berichterstattung geht es darum Veganer als Minderheit vorzuführen, sie zu belächeln oder sie sogar als gefährliche, sektenähnliche Gruppierung zu degradieren, die ihren Kindern durch diese extreme Mangelernährung bewusst Schaden zufügt. Wo sind wir eigentlich gelandet, dass man derart unreflektiert und einfach nur bösartig über Menschen sprechen bzw. schreiben darf?!
Und jetzt komme ich zum eigentlichen Punkt, denn letztendlich ändern solch Artikel nichts an der Einstellung oder Denkweise der Pflanzenesser selbst, wohl aber an der Akzeptanz tausender Menschen, die ihre Meinung über öffentliche Instanzen, wie es die Medien nun mal sind, bilden.
Warum wird nicht nach der Bedeutung, nach dem WARUM gefragt? Warum geht es nie um die Intention, um den großen Mehrwert dieses Lebensstils bzw. dieser Ernährungsweise? Warum geht es immer nur um Stereotypen, den pflanzenfressenden Öko-Veganer, und nicht darum, was diese Art der Lebens-/Ernährungsweise mit uns allen, mit unserem gesamten Planeten und jedem einzelnen zu tun hat? Warum sagt keiner, dass es NICHT egal ist, was wir täglich konsumieren und in unseren Körper lassen?
Das ist ungefähr so, als würde man Mutter Teresa oder Gandhi nicht dafür schätzen, dass sie sich für den Frieden eingesetzt haben, sondern gehässig auf sie losgehen, dass sie die Leute mit ihrem Friedensgeschwafel auf den Zeiger gehen und doch endlich wieder zur Vernunft kommen sollten, indem sie sich der breiten, nicht so sehr friedensaffinen Masse anschließen…Und vor allem wäre es so, als würde man nur die beiden Personen sehen, nicht aber die Sache, um die es eigentlich geht.
Und nein, ich möchte Veganer nicht mit Mutter Teresa auf eine Stufe stellen – dieses Beispiel soll nur verdeutlichen, dass sich der tiefe Kern des „Veganismus“ nicht auf die äußere Hülle oder eine Wortbezeichnung reduzieren lässt, die rein gar nichts mit der eigentlichen Botschaft, mit dem Sinn dahinter zu tun hat.
Es ist nicht nur falsch, sondern auch fahrlässig die Menschen im Unwissen darüber zu lassen, was hinter verschlossenen Türen tagtäglich in Deutschland und weltweit geschieht. Sie nicht darüber aufzuklären welche verheerenden Folgen die „moderne“ Massentierhaltung auf uns hat. Und wenn ich sage „uns“, dann meine ich damit den gesamten Organismus Erde, den wir unser Zuhause nennen und ohne den keiner von uns existieren würde.
Wenn also eine Person diesen Missstand erkennt, sich darüber informiert und sein Bestes dafür gibt, dem entgegen zu wirken oder positiver ausgedrückt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, dann halte ich das durchaus für respektabel und könnte erwarten, dass dieses ungeheuer wichtige Thema einen priorisierten Stellenwert auf der Medienagenda des 21. Jahrhundert erhält.
Wie oft liest und hört man vom Klimawandel, von Überfischung, von der voranschreitenden Umweltverschmutzung, von Armut, Ressourcenerschöpfung und von sich weiter ausbreitenden Zivilisationskrankheiten. Jedes dieser Probleme führt eine unendlich lange Kette an Schmerz, Leid und Tod mit sich.
Doch die Aussicht ist nicht hoffnungslos, denn es gibt Mittel und Wege, wie wir effektiv für eine bessere Zukunft einstehen können, wie wir damit anfangen können unsere Verantwortung als Erdenbürger, als bewusste Lebewesen wahrzunehmen und uns endlich mit diesen Themen befassen, in ihrem Kern. Und dann ins Handeln kommen, nach bestem Wissen und Gewissen. Uns der Sache annehmen, für etwas einstehen, mit dem wir die Absicht haben, etwas zurückzugeben. An die Welt und natürlich auch an uns selbst.
Übrigens auch ein wichtiges Stichwort. Der „Veganer“ wird häufig als egoistisch dargestellt, da er rücksichtslos die Entscheidung für diese Art der Ernährungsweise über dem Kopf seines noch nicht entscheidungsfähigen Kindes fällt.
Ich frage mich, wie kann man pauschal behaupten, dass ein ernährungsinteressierter/ ernährungsbewusster Mensch, der sich gezielt mit dieser Materie auseinandersetzt und demnach in den allermeisten Fällen genau Bescheid weiß, über Nährstoffprofile, Stoffwechselprozesse etc., sich mangelernährt und somit all denjenigen unterlegen ist, die sich in ihrem Leben noch nie mit Ernährung richtig beschäftigt haben, bis auf die Tatsache, dass sie sich täglich ernähren. Wieso denken Menschen, dass, wenn sie einfach alles essen, von Tiefkühlpizza, über Fischstäbchen, Schnitzel, Pommes, Würstchen, Süßigkeiten, Chips, Cola und Alkohol, sie sich automatisch und grundsätzlich gesünder und vitalstoffreicher ernähren, als der durchschnittliche Veganer, dessen Lebensmittelgrundbestand in den meisten Fällen aus Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Kräutern und Körnern besteht und das zumeist noch in Bioqualität?!
Wie gesagt, es geht hier nicht um einen moralisch-gesundheitlichen „Schwanzvergleich“, sondern um irrationale Argumente und die systematische Vertuschung eines weltweit relevanten Themas, das unter dem Deckmantel des „totalitären, bösen Veganismus“ die Intoleranz der Menschen anheizt und gleichzeitig die damit einhergehenden wichtigen Themen unter den Tisch kehrt.
Eigentlich ist alles was ich wollte mein Handeln meinen inneren Werten anzupassen. Meine Chance als aufgeklärter Erdenbewohner wahrnehmen und Verantwortung für mein Zuhause, für meine Umwelt und für mich selbst zu übernehmen. Ich möchte mein Bestes dafür geben, liebevoll zu sein, mit mir selbst und meiner Umwelt. Möchte etwas Positives zurückgeben, für das was ich tagtäglich bekomme. Ich möchte bewusster durchs Leben gehen und Dingen, die wirklich Relevanz in unserem Leben haben, genug Raum geben.
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich mich dadurch befreiter, glücklicher, lebendiger und ja, auch besser fühle. Nicht besser oder mehr wert als andere, sondern besser mit mir selbst. Nicht von außen, sondern von meinem tiefsten Innern.
Diese Erfahrung haben viele vor mir gemacht und werden auch viele nach mir machen. Doch um dahin zu kommen, müssen wir mit offenen Augen durchs Leben gehen – bewusst, und aufgeklärt. Müssen uns durch Wissen, Interesse, Offenheit und Engagement ermächtigen, als Individuum, als Vertreter in eigener Sache, denn wenn wir es nicht tun, wer wird es dann tun?!
Ich möchte mich nicht auf andere Parteien verlassen, die vielleicht nicht mein Wohl oder das der Allgemeinheit an oberster Stelle sehen. Ich weiß, es geht oft um Geld, Gier, Macht, Kontrolle… aber ich kann dafür sorgen, dass es in meinem Leben nicht darum gehen wird, dass ich mich meinen Prioritäten, meinen Werten widme. Respekt, Liebe, Freiheit, Gesundheit, Wissen – all das kann ich verkörpern.
Viele fragen als erstes, „na, trägst du auch keine Lederschuhe?“, oder „hilfst du dann auch den Kindern in Afrika, denen geht es auch schlecht!“. Diese Art von unreflektierter Doppelmoral macht mich sehr traurig. Einen Menschen an seiner „Unperfektheit“ zu messen oder ihn schlecht zu machen aufgrund dessen, was er alles NICHT tut, ist weder zielführend noch wertschätzend noch sinnstiftend. Generell bin ich sehr darauf bedacht das zu sehen, was präsent ist, was daraus werden kann und welche Intention dahintersteckt.
Wenn wir unser bewusstes Wegschauen und unsere Ignoranz damit rechtfertigen, dass andere auch nicht perfekt sind oder ihr gesamtes Leben auch nicht dem Altruismus widmen, dann kommen wir als Individuum sowie als Kollektiv nicht voran. Denn das bedeutet Stillstand. Und der Mensch ist nicht gemacht für Stillstand. Die ganze Welt ist permanent im Wandel. Wir verändern uns zwangsläufig, passen uns an, heben uns hervor – nur du hast es in der Hand, in welche Richtung du dich entwickeln möchtest!